Wie mehr Fitness vor geistigem Abbau schützt
Bewegung ist gut fürs Gehirn und könnte das Demenz-Risiko senken. Das höre ich immer wieder. Aber ist das wirklich wahr? Für eine Antwort schaue ich in eine aktuelle Übersichtsarbeit, die die wichtigsten Forschungsergebnisse zum Thema zusammenfasst.
Vorab, Bewegung ist nicht gleich Sport. Unter Bewegung oder körperlicher Aktivität, im Englischen physical acitivity, versteht man eine ganze Menge: von Treppensteigen über Fußballspielen und Fensterputzen bis Zumba. Es geht darum, ein wenig ins Schwitzen zu kommen, egal wie.
Eine internationale Forschergruppe um Kirk Erickson von der Universität Pittsburgh, USA, hat sich den Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Denkvermögens im Alter und körperlicher Bewegung 2022 näher angeschaut.
Streifen wir zunächst und kurz eine unangenehme Tatsache: Wir alle verlieren mit dem Älterwerden an Geisteskraft. Wir erinnern uns schlechter an Abläufe (etwa ein neuer Tanzschritt), brauchen länger, um etwas zu begreifen und länger, um eine Aufgabe auszuführen. Der geistige Abbau geht einher mit einem Massenverlust im Gehirn. Das Gehirn schrumpft, die Verbindungen zwischen den Nervenzellen geraten in Unordnung und die Aktivität der Nervenzellen lässt nach. Das Ganze klingt in der Fachsprache noch schlimmer und eigentlich möchte man sich angesichts der Unausweichlichkeit dieser Veränderung zum Nachmittagsnickerchen hinlegen und von besseren Zeiten träumen.
Der Hundertjährige, der auf das Laufband stieg
Doch die Forschenden halten eine Kerze hoch – ein Licht im dunklen Schacht, der uns immer weiter nach unten führt. Die Alternsforschung der letzten Jahrzehnte hat drei wichtige Erkenntnisse zutage gefördert: Bei manchen Menschen bleibt die Geisteskraft (Kognition) auch noch bis ins hohe Alter erhalten und dafür gibt es Gründe. Und: Auch wenn manches etwas langsamer geht, so können kognitive Prozesse im Alter auch positive Seiten haben. Und das Allerbeste: Es scheint Möglichkeiten zu geben, den Alterungsprozess nicht nur zu verzögern, sondern teilweise rückgängig zu machen.
Das wissenschaftliche Gebiet, dass sich mit diesen Themen beschäftigt nennt sich übrigens Gesundheitsneurowissenschaften.
Was also hält ein Gehirn jung? Zum einen ein gesundes Herzkreislaufsystem. Je weniger negative Faktoren – Rauchen, Übergewicht, ungünstige Ernährung, wenig Bewegung, Bluthochdruck, ungünstiger Cholesterinspiegel, erhöhter Blutzucker, viel Fett um die Eingeweide – zusammenkommen, desto weniger Läsionen weist das Gehirn auf und desto weniger schrumpft es. Vor allem Bluthochdruck macht dem Gehirn zu schaffen. Liegt der systolische Blutdruck im mittleren Alter bei über 130 mm Hg so steigt das Risiko, später an Demenz zu erkranken um knapp 40 Prozent.
Es ist übrigens unklar, inwieweit medikamentöse Blutdrucksenker das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen und Demenz senken können. Klar ist jedoch, dass regelmäßige körperliche Aktivität das Gedächtnis und die Handlungssteuerung im Alter verbessern.
Gesunde Gehirne werden mit 50 gemacht
Ein paar Kilos mehr im Alter schaden nicht. Viele Kilos leider schon, denn Übergewicht erhöht das Risiko für kognitiven Abbau und Demenz, auch wenn der Blutdruck im Normbereich liegt. Das gilt vor allem, wenn sich das Extra-Fett am Bauch ansammelt. Starkes Übergewicht in der Lebensmitte (nicht im hohen Alter) geht einher mit dem schlechteren Abschneiden in Denkaufgaben. Bei Menschen, die von Übergewicht oder Fettleibigkeit (Adipositas) betroffen sind, weist das Gehirn strukturelle Veränderungen auf. So sind zum Beispiel Hirngebiete wie der Hippocampus beeinträchtigt, der eine wichtige Rolle für das Gedächtnis spielt. Diese Änderungen sind jedoch, das zeigen Untersuchungen nach Magenverkleinerungen, reversibel.
Wer im mittleren Lebensalter unter Typ-2-Diabetes leidet, besitzt ebenfalls ein erhöhtes Demenzrisiko im Alter. Um 50 Prozent steigt das Risiko im Vergleich zu Menschen ohne diese Erkrankung. Zu spüren bekommen den geistigen Abbau auch Menschen, die zwar noch keinen Diabetes aufweisen, deren Insulinempfindlichkeit – eine Vorstufe des Diabetes – jedoch bereits etwas herabgesetzt ist. Die entgleiste Insulin-Regulierung stört das Wachstum neuer Nervenzellen und behindert die Fähigkeit der Nervenzellen neue Verbindungen zu knüpfen. Möglicherweise, so die Forschenden, stellt die Insulin-Deregulierung das Bindeglied her zwischen Herzkreislauferkrankungen und Gehirngesundheit.
Ganz einfach ausgedrückt ist das Gehirn eben auch nur ein Teil des Körpers. Und altert der Körper, dann zieht das Gehirn eben mit.
Bewegung hält den Kopf fit. Ob Skateboard fahren oder Unkraut jäten ist dabei egal.
Gute Gene? Glück gehabt
Ein Teil der Menschen, die bis ins hohe Alter geistig fit bleiben, verdankt das einem Zufall, nämlich einer guten Genkombination. Dabei spielen Tausende von Genen eine Rolle, unter anderem das APOE-Gen. Wer die richtige Variante hat, erkrankt viel seltener an Alzheimer. (Während des Studiums durften wir unsere APOE-Variante analysieren. Das war für manche Studierenden eine beunruhigende Erfahrung.)
Möglicherweise führt eine Kombination aus ungünstigen Genen und schlechter Herzkreislaufgesundheit zu einem verfrühten geistigen Abbau im Alter. An einer dieser Schrauben lässt sich drehen, der Herzkreislaufgesundheit. Die lässt sich durch regelmäßige Bewegung in jedem Alter in Schwung bringen.
Ein Reihe von Studien hat aufgezeigt, in welchem Maße körperliche Aktivität die geistige Fitness verbessern kann. Um nur zwei Beispiele herauszunehmen: Laut einer zehn Jahre währenden Untersuchung mit rund 4000 über 70-Jährigen ging eine geringe körperliche Aktivität einher mit einem 50-prozentigen Anstieg des Demenzrisikos. In einer anderen – besonders aussagekräftigen – Studie (eine so genannte randomisiert-kontrollierte Studie) mit 124 Menschen zwischen 60 und 75 Jahren ließ ein sechsmonatiges Herzkreislauf-betontes Fitnesstraining die kognitive Leistung ansteigen.
Bewegung trumpft Gene
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass sich vor allem bei Menschen zwischen 55 und 75 Jahren körperliche Aktivität die Gehirn-Gesundheit verbessert. Forschende gehen daher davon aus, dass es ein „Fenster der Möglichkeiten“ im mittleren bis mittelhohen Alter gibt. Je bewegungsfreudiger ein Mensch um die 50 ist, desto geringer ist sein Risiko später an einer Demenz zu erkranken. Möglicherweise schützt Fitnesstraining APOE-Risikogen-Träger vor den negativen Auswirkungen des Gens.
Bei Menschen, die bereits an Demenz erkrankt sind, scheint ein Fitness-Training die Denkfähigkeit jedoch nicht mehr verbessern zu können (die körperliche Fitness dagegen schon). Das Fenster hat sich also bereits geschlossen.
Joggen ist das wahre Gehirnjogging
Was bewirkt nun körperliche Aktivität genau im Körper? Die Liste der Antworten ist lang. Hier nur ein paar wichtige Prozesse:
- Körperliche Aktivität erhöht die Konzentration von Wachstumsfaktoren, die Nervenzellen helfen, Kontakte zu knüpfen.
- Körperliche Aktivität fördert die Bildung von Blutgefäßen und sorgt so für eine bessere Durchblutung im Gehirn.
- Körperliche Aktivität stärkt die Nerven-Netzwerke im Gehirn.
- Körperliche Aktivität verbessert den Schlaf und dadurch die Denkfähigkeit.
Körperliche Aktivität fördert Tausende von unabhängigen molekularen Prozessen, die positiv für die Gehirngesundheit sind. Jeder einzelne Prozess ist zu schwach, um einen deutlichen Effekt zu zeigen. Aber alle zusammengenommen entwickeln die Kraft eines Vorschlaghammers, der immer und immer wieder geschwungen wird, bis sich das Material schließlich verändert. Im Endeffekt fördern die Prozesse vor allem eines: die Plastizität des Gehirns, also die Fähigkeit, sich anzupassen.
Eine Monatspackung Sport bitte
Neuere Forschung betont, dass Bewegung das Gehirn fitter macht – und zwar in jedem Alter. Und die Forschenden, die diese Zusammenhänge aufgedeckt haben, wundern sich zunehmend: Warum wird Bewegung nicht mehr zur Prävention genutzt, um geistigen Abbau im Alter zu verhindern? Vier Gründe scheinen dem im Weg zu stehen. Einmal klingt „körperliche Aktivität“ weniger beeindruckend als „pharmakologisch wirksame Substanz“ und ist daher in den Augen Vieler im Vergleich zur Medikamentengabe eine Medizin zweiter Klasse.
Dann existiert nach wie vor die Vorstellung, dass nur intellektuelle Herausforderungen das Gehirn wirklich trainieren könnten. Drittens steht das ungelöste Problem der Adhärenz – also des Dranbleibens an der körperlichen Bewegung – der Anwendung von Sport als Medizin im Weg. Viertens entscheiden an Pharma-Studien gewöhnte Mediziner über das, was medizinisch empfehlenswert ist. Studien zur körperlichen Aktivität sind schwerer durchzuführen (es ist einfacher, sechs Monate eine Spritze zu verabreichen als Hunderte von Versuchsteilnehmenden regelmäßig zu trainieren) und die Ergebnisse sind mitunter nicht so eindeutig wie Medikamentenstudien.
Kluge Köpfe setzen auf Spaß
All diese Hürden können und sollten übersprungen werden. Körperliche Aktivität ist die vielversprechendste Waffe, die wir haben im Kampf gegen den geistigen Abbau haben. Sie ist erprobt, für alle zugänglich und günstig. Sie könnte helfen, die Probleme, die eine alternde Gesellschaft mit sich bringt, abzumildern. Und vor allem kann sie vielen Menschen und ihren Angehörigen das Leid ersparen, das eine Demenz mit sich bringt.
Allerdings ist es schwierig, sich zum Sport mit dem Gedanken zu zwingen: „Macht zwar keinen Spaß, aber in 20 Jahren werde ich schon die positiven Effekte der heutigen Anstrengung spüren.“ Also, ich habe noch keinen getroffen, der deswegen die Hantel hebt oder ein Burpee macht. Das Wissen über den positiven Einfluss von regelmäßiger Bewegung (Fitnesstraining, körperliche Aktivität, Rasenmähen, Gassigehen, Radfahren, Kraftsport, Tanzen, Gärtnern, Putzen, Wandern oder was auch immer) auf die Gehirngesundheit sollte man im Hinterkopf behalten, aber besser ist die Erkenntnis: Oh, hat Spaß gemacht, mach ich übermorgen nochmal.
Text: Dr. Fabienne Hübener
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