Krafttraining bei Vorhofflimmern: Was sagt die Wissenschaft?
Hilft Krafttraining bei Vorhofflimmern? Diese Frage hat mir neulich ein Bekannter gestellt. Sofort habe ich mein Tablet in die Hand genommen und – nein nicht gegoogelt – eine Recherche auf den einschlägigen Wissenschaftsplattforen wie Pubmed und Science Direct gestartet. Dort kann ich die aktuellen Studien zum Thema nachlesen.
Nur Aktuelles zählt
Warum mich das interessiert? Weil viele Menschen im Alter von Vorhofflimmern betroffen sind. Statt wie im Wissenschaftsjournalismus üblich die fertige Antwort zu liefern, nehme ich Sie mit auf meine Recherchereise.
Ich gebe Vorhofflimmern (atrial fibrillation) in die Suchmaske bei pubmed ein. Ich bin ein News-Junkie, daher klicke ich „nur aktuelle Studien“ an. Was interessiert mich das Wissen von vor 10 Jahren; es ist in der Regel veraltet. Ich lasse einige Studien links liegen, die in obskuren Fachmagazinen erschienen sind und widme mich den aktuellen Publikationen in guten Fachmagazinen.
Krafttraining: gut fürs Herz
Ich stoße auf eine Studie im BMC Cardiovascular Disorders. Die kleine Studie zeigt bei Gesunden, dass Krafttraining für die Vorhoffunktionen positivere Auswirkungen hat als „ein bisschen Hobby-Bewegung“. „Wir empfehlen, dass Menschen, die sich regelmäßig in ihrer Freizeit bewegen auch über Krafttraining nachdenken sollten, da es höhere Anforderungen an das Herz stellt“. Gut und schön, aber an der Studie haben nur 43 Männer teilgenommen und der Universität, an der die Studie durchgeführt wurde, hat nicht gerade einen Weltruf.
Ich ärgere mich kurz, dass wieder mal nur Männer in die Studie eingeschlossen wurden. Aber weiter geht es. Jetzt muss ich ein bisschen aufpassen. Als Fitnesstrainerin mit Schwerpunkt Kraft habe ich ja eine mentale Schieflage (Bias). Ich freue mich, auf Studien zu stoßen, die zeigen, dass Krafttraining positive Effekte hat. Um mich vor diesem Bias zu schützen, suche ich gezielt nach Studien, die mir nicht in den Kram passen.
Wichtig: Gegenrecherche
Hier zum Beispiel: Kraft und Balancetraining im Anschluss an eine kardiologische Reha verbesserten nicht die Lebensqualität. Die Leute wurden zwar aktiver, hatten ein paar weniger Komplikationen, aber im Endeffekt zählt die subjektive Einschätzung der Lebensqualität. Die Studie kommt auch noch von einer der besten sportmedizinischen Unis, der Uni Köln. Allerdings erfolgte das Training via Telefonunterstützung. Naja. Es geht halt nichts über eine motivierende Trainerin neben der Matte.
Goldstandard: die Übersichtsarbeit
Aber ich hab mich etwas verirrt. Es soll ja um Vorhofflimmern gehen. Oh, große Freude – ich entdecke eine Übersichtsarbeit. In die fließen gleich eine Reihe von Studien ein und sie hat damit eine besonders hohe Aussagekraft. Nicht gerade der Hit, aber immerhin: Ausdauer- und Krafttraining verbessern die Fitness und zeigen keine negativen Effekte bei Vorhofflimmern. Etwas mehr Umpff hätte ich mir schon erwartet. Aber „schadet nicht“ ist auch schon eine wichtige Aussage für Menschen mit Vorhofflimmern und Trainerinnen, die solche KundInnen betreuen.
Weiter im Text. Eine Metaanalyse aus 2023: Sport (exercise) senkte die Belastung durch Vorhofflimmern, verbesserte die Lebensqualität und die Fitness. Welche Art von Bewegung, Ausdauer, Qigong, Yoga etc., nun am besten funktionieren, lässt sich aus den Studien, die insgesamt 670 Studienteilnehmenden einschlossen, allerdings nicht erkennen. Schade.
Alle wollen Yoga
Wenn ich schon Yoga höre, steigt mein Puls. Alle wollen Yoga, keiner will Hanteltraining. Dabei hatte ich einige Kundinnen, die aus Altergründen Yoga an den Nagel hängen mussten (nicht jeder kommt mit beschränkter Hüftbeweglichkeit auf die Matte runter) und fröhlich im Krafttraining an Muskelmasse zugelegt haben – mit über 90.
Unter den Studien gibt es immer eine Liste mit ähnlichen Studien und so drifte ich kurz in das Zeitalter 2016 ab. Das war die Zeit, in der Ausdauertraining als Nonplusultra galt. Und tatsächlich, Ausdauertraining, und zwar hochintensives Intervalltraining (puhhh) dreimal wöchentlich über drei Monate senkte das Auftreten von Vorhofflimmern von 8,1 auf 4,8 Prozent.
Das galt allerdings nur bei Menschen mit nicht-permanentem Vorhofflimmern. 51 Patienten nahmen an der Studie teil. Ich werfe einen genaueren Blick in die Studie: Wie alt waren die Menschen, die sich dreimal die Woche bis kurz vorm Umfallen verausgabten? Darüber geben die StudienautorInnen keine Auskunft. Naja, wohl eher nicht über 70. Immerhin, das Forscherteam hat meine Lieblingsskala, die Borgskala benutzt. Meine Kundinnen und Kunden kennen die.
Männer machen Studien mit Männern
So, jetzt doch noch eine Tabelle mit dem Durchschnittalter gefunden. 56 Jahre. Die Kontrollgruppe war im Schnitt sechs Jahre älter. Bei mir kommen Zweifel auf. Und so scrolle ich mal schnell weiter zu meinem Lieblingskapitel „die Grenzen der Aussagekraft dieser Studie“. Tatsächlich, die Patienten und Patientinnen waren auffallend jung und auffallend fit. Ach, und das Wort Patientinnen kann ich auch streichen. Es ging, wie so oft, fast nur um Männer. Frauen ticken gesundheitlich und in der Fitness einfach anders. Aber so eine Auswahl passiert halt, wenn Jan, Bjarne und Ole eine Studie designen. Mannomann.
Ich mach mich wieder auf die Suche nach aussagekräftigeren Studien.
Und immer lockt die Einzelfallstudie
Aber nein, ich werde abgelenkt von einer Fallstudie. Daniel aus Sydney und Kollegen haben einen 87-jährigen Mann durchgecheckt, der erst mit 76 Jahren mit dem Krafttraining und Profi-Bodybuilding angefangen hat (hey, Marty …). Der Mann hatte, Achtung festhalten, Schlaganfälle, Polio, Vorhofflimmern, Prostataerkrankung, Arthrose, Depression, Reflux, Blasenkrebs und Magenprobleme.
Der aktuelle Check ergab, dass der Mann nach rund 10 Jahren Krafttraining eine exzellente Fettverteilung hatte und muskulär seine Altersgenossen weit hinter sich ließ.
Sowas lese ich immer wieder gerne. Allerdings möchte ich anmerken, und ich hab da schon einige ExpertInnen-Interviews zu geführt, das sind Ausnahmefälle. Dieser Mann hatte, Krebs hin, Reflux her, Gene, die es ihm ermöglichten, auch im fortgeschrittenen Alter noch deutlich an Kraft zuzulegen. Das ist nicht jedem gegeben und so muss man sich auch nicht (also, alle, außer Marty) mit so jemandem vergleichen lassen. Leider finde ich kein Foto von dem Mann. Dafür hier mal ein hübsches Foto eines 90-jährigen Bodybuilders.
Sechs Monate sollten es schon sein
Ok, das war ein kurzer Abschweif. Zurück zum Vorhofflimmern. In aller Kürze. Nach einer Katherterablation wegen persistierendem Vorhofflimmern verbesserte sich Fitness und Herzfunktion und inflammatorische Marker (C-reaktives Protein) nur in der Gruppe, die sechs Monate lang moderates Ausdauer- und Krafttraining betrieben. Gut und schön. Jetzt möchte ich aber mal auf Studien treffen, die einen negativen Zusammenhang zwischen Sport und Vorhofflimmern finden.
Hmm, ein 2024 Review meint, es könnte sein, dass bei Vorhofflimmer-Betroffenen sich nicht nur die kardiovaskuläre Fitness verbessert, sondern auch die Herzfunktion (LVEF), was beeindruckend wäre. Ist aber nicht signifikant. Naja. Hier noch ein gutes Review, dort noch eine Studie. Momentmal, eine Studie im Top-Magazin Lancet aus 2024. Lets have a look. Es ist übrigens jetzt 19 Uhr und außer köstlichem Apfelkuchen, den eine Kundin gebacken hat, hab ich heute noch nichts gegessen.
Bewegung reduziert Flimmern. Punkt.
Jetzt mal grundsätzlich. So stehts im Lancet. Wer unter Vorhofflimmern leidet, sollte bitte eine Anti-Koagulationstherapie machen und wenn nötig eine Katheterablation. Wirkt. Aber trotz dieser therapeutischen Durchbrüche bleibt ja noch ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle und andere unerwünschte Ereignisse. Was lässt sich also sonst noch tun, um das Risiko zu senken? Auch wenn es jetzt langweilig wird: Übergewicht reduzieren und Sport helfen dabei, das Risiko zu verringern, das Flimmern zu reduzieren und die Symptome abzumildern. So und jetzt muss ich auch noch einen Blick auf den Alkoholkonsum werfen. Also, nicht auf mein Glas mit extrem gutem und recht teurem Weißwein, das neben meiner Tastatur steht. Sondern in die Tabelle der Studie.
😊Wundert mich ja ein bisschen, aber ein Gläschen Wein pro Tag scheint das Risiko für das Neuauftreten von Vorhofflimmern nicht zu erhöhen. Darauf trinke ich einen Schluck. Aber grundsätzlich: Alkohol ist nicht gut, für nix.
Wow, bin ganz erstaunt, wie deutlich Fitness das Risiko für das Neuauftreten von AF (Vorhofflimmern) senkt, wie Übergewicht das Risiko verschärft. Und sehr erstaunlich: Eine Angsterkrankung geht mit einem bis zu dreimal erhöhtem Risiko für AF einher. Finde ich gemein.
Männer, geht auch mal zum Psychologen.
Sport über alles
Kaffee kann man übrigens getrost trinken. Es ging jetzt um das Risiko, AF zu entwickeln. Wie sieht es mit dem Risiko für unerwünschte Ereignisse (Schlaganfall, kognitive Probleme etc.) aus, wenn man bereits AF hat? Wow, Sport über alles. In einigen Studien senkte regelmäßige Bewegung das Sterberisiko um bis zu 60 Prozent (Dai et al 2022). Übergewicht ist mies. Sehr schade. Denn auch nach 20+ Jahren über Übergewicht schreiben hab ich keinen Lösungsansatz parat (außer Ozempic). Und noch ein wichtiger Aspekt: Rauchen ist so Kacke, da will ich nicht mal Zahlen nennen. Ich habs vor vielen Jahren geschafft, aufzuhören und ich weiß, jeder kann es schaffen. Und jetzt noch ne schlechte Nachricht. Wer bereits AF hat, sollte vermutlich das Alkoholtrinken einschränken. Ist halt ein Zellgift. Schluck.
Und noch ein paar weitere schlechte Nachrichten. Wer in einer mit Feinstaub belasteten Gegend wohnt, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit an AF erkranken. Wer AF hat und arm ist, muss auch mit einem früheren Tod rechnen als die reicheren AltersgenossInnen. Das liegt aber unter anderem daran, dass ärmere Menschen sich seltener eine Katheterablation unterziehen.
Ran an die Hantel
Hmm, jetzt bin ich aber müde, hungrig und leicht angetrunken. Fazit: Es scheint im Moment laut Studienlage nichts dagegenzusprechen bei Vorhofflimmern Krafttraining zu machen. Es sieht sogar so aus, als ob regelmäßige Bewegung – Ausdauer und Kraft – die negativen Folgen und das Auftreten von Vorhofflimmern abmildern könnten. Es fehlen Studien, die gezielt testen, inwieweit Krafttraining im Vergleich zu anderen Trainings bei Vorhofflimmern von Nutzen sind. Also: Ran an die Hanteln, rauf aufs Rad, weg von der Fluppe und ein bis null Corona-Bierchen am Tag sind ok.
PS: Der Text ist mir ein bisschen lang geraten. Ich hab Chatgpt gebeten, eine kürzere und SEO-gerechte Version zu erstellen. Sie ließt sich ganz prima. Aber vor lauter Les- und Auffindbarkeit bin ich als Autorin aus dem Text völlig verschwunden. Daher bliebs bei der Langversion. Ich brauch ja auch meinen Spaß beim Schreiben.
Foto: Deagreez